6. Oktober 2025 | 07:00 Uhr
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"Vor Covid war die Welt des Tourismus kein guter Ort"

Bruce Poon Tip (Foto), Gründer von G Adventures, hält die Corona-Pandemie für eine heilsame Zäsur. "Vor Covid war die Welt des Tourismus kein guter Ort", sagt der 58-Jährige im Gespräch mit Reise vor9. Erstmals nennt Poon Tip Zahlen für seinen Reiseveranstalter: rund eine halbe Milliarde Euro Umsatz und 300.000 Gäste.

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Reisen sei zur austauschbaren Ware verkommen, kritisiert Bruce Poon Tip den Massentourismus

Als Bruce Poon Tip vor 35 Jahren G Adventures gründete, war nachhaltiges Reisen und Community-Tourismus für viele noch ein Fremdwort. Heute führt der 58-Jährige eines der größten Unternehmen für Abenteuerreisen in kleinen Gruppen – und bleibt doch ein unbequemer Querdenker der Branche. "Vor Covid war die Welt des Tourismus kein guter Ort", sagt er im Gespräch mit Reise vor9. "Wir waren süchtig nach Bequemlichkeit."

Vom Barkeeper zum Reisevisionär

Geboren in Trinidad, aufgewachsen in Kanada, begann Poon Tip seine Karriere als Barkeeper, bevor er 1990 direkt nach dem Wirtschaftsstudium G Adventures gründete. Heute beschäftigt der Veranstalter weltweit mehr als 3.500 Mitarbeiter, davon 300 im Headquarter in Toronto. Rund 300.000 Gäste waren im vergangenen Geschäftsjahr mit G Adventures unterwegs, der Umsatz lag bei knapp 800 Millionen kanadischen Dollar – umgerechnet rund eine halbe Milliarde Euro.

G Adventures gehört Poon Tip bis heute allein. "Zu hundert Prozent mir, seit ich G Adventures gegründet habe", betont er. Eine Beteiligung der Investmentgesellschaft Certares, über die in den Medien berichtet wurde, habe es so nie gegeben. "Wir wollten uns nach der Pandemie Kapital für mögliche Übernahmen sichern. Doch es gab nichts auf dem Markt, was zu uns gepasst hätte. Deshalb haben wir die Partnerschaft mit Certares wieder aufgelöst."

G Adventures bietet Reisen in rund 160 Ländern an, in kleinen Gruppen und mit Begegnungen mit der lokalen Bevölkerung auf Augenhöhe. "Wo man hinreisen kann, tun wir das auch", sagt Poon Tip. Besonders beliebt sind Peru, Thailand und Marokko, auch Japan wächst stark. Die wichtigsten Quellmärkte liegen in Großbritannien und Nordamerika, während sich der deutsche Markt langsamer erholt. "Viele Deutsche sind während der Pandemie in Europa geblieben. Doch jetzt kommen die Fernziele zurück."

"Tourismus ist zur Ware verkommen"

Poon Tip hält mit seiner Meinung über die Reiseindustrie nicht hinter dem Berg. "Wir verkaufen jetzt nur noch Kapazitäten – immer mehr Hotels, mehr Kreuzfahrtschiffe, mehr Flüge", sagt er. Der Tourismus habe seine Leidenschaft verloren und sei zu einer Ware verkommen. Komfort sei zu einer Art Droge geworden. "Die Hotelbranche ist besessen davon, es ihren Gästen bequem zu machen. Die Gäste sollen sich überall gleich fühlen, egal wo sie sind. Das Reiseziel wurde zur Nebensache."

Seine Forderung ist unmissverständlich: "Wer auf Reisen Komfort wie zu Hause erwartet, der soll bitte zu Hause bleiben." Für ihn beginnt echtes Reisen jenseits der Komfortzone. "Wer die Vorteile und den Reichtum des Reisens genießen möchte, muss seine Komfortzone verlassen."

"Covid war für die Reiseindustrie eine gute Sache"

Als im März 2020 wegen der Corona-Pandemie die Grenzen schlossen, stand auch G Adventures still. "Ich wachte an diesem Morgen auf und hatte null Einnahmen", erinnert sich Poon Tip. Er habe 2.000 Mitarbeitern kündigen müssen. Trotzdem sieht er die Pandemie rückblickend als Chance. "Ich glaube nicht, dass Covid das Schlimmste war, was dem Reisen je passiert ist. Ich finde sogar, dass Covid für die Reisebranche eine gute Sache war."

Die Krise habe den Blick auf das Wesentliche geschärft. "Vor Covid buchten die Menschen keine Reiseziele, sondern Annehmlichkeiten. Erst als das Reisen unmöglich war, wurden die Reiseziele wieder wichtig."

Projekte unterstützen die Menschen vor Ort

Schon vor der Pandemie gründete Poon Tip die Stiftung Planeterra, die inzwischen mehr als 100 soziale Projekte in 80 Ländern unterstützt – bis 2030 sollen es 300 werden. Diese Projekte sind fest in die Reisen von G Adventures integriert und tragen das Label "G for Good Moments".

In Delhi bildet das Programm "City Walk" ehemalige Straßenkinder zu Guides aus, die dann durch ihre Stadt führen. In Rio de Janeiro zeigen Bewohner der Favelas ihren Alltag. In Bolivien übernachten Gäste in der von Einheimischen geführten Jukil Community Lodge, in Tansania kochen Reisende mit den "Moshi Mamas" und lernen lokale Handwerkskunst kennen.

Auch ökologische Projekte hat Poon Tip gestartet. Mit der Aktion "Trees for Days" pflanzt G Adventures für jeden Gast und jeden Reisetag einen Baum – bislang über fünf Millionen Stück in 16 Gemeinden weltweit. Die Bäume werden von Einheimischen gepflanzt, die dafür bezahlt werden und lernen, sie zu pflegen.

"Tourismus kann die Welt verbessern"

Wachstum sieht Poon Tip nicht mehr als Hauptziel. "Wir werden in den nächsten Jahren die Milliarden-Grenze überschreiten. Aber das ist nicht der Maßstab, an dem wir unseren Erfolg messen." Entscheidend sei, welchen positiven Einfluss Reisen vor Ort haben könne.

Tourismus, davon ist Poon Tip überzeugt, kann das Leben der Menschen verändern. "Reisen ist ein Privileg. Nur sehr wenige Menschen auf der Welt haben die Möglichkeit, überhaupt zu reisen. Und dieses Privileg bringt Verantwortung mit sich", sagt der Unternehmer. Wer reist, sollte etwas zurückgeben. Community-Tourismus, von dem die lokale Bevölkerung profitiere, zeige, dass dies funktioniere. Poon Tip: "Tourismus kann die Welt verbessern."

Thomas Hartung

Am Dienstag lesen Sie, wie G Adventures in Deutschland aufgestellt ist und was Deutschlandland-Chefin Jeanette Buller den Reisebüros zu bieten hat.

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