Verbände streiten über Informationspflichten-Urteil
Das Amtsgericht Nordhorn sieht Reisebüros nicht in der Pflicht, die wirtschaftliche Lage von Veranstaltern zu prüfen. DRV und ASR werten das als Bestätigung, dass Risikoanalysen Aufgabe von Aufsicht und Prüfern bleiben müssen. Der VUSR begrüßt dagegen die angekündigte Berufung und fordert eine klarere Definition der Beratungsverantwortung im stationären Vertrieb.
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DRV und ASR liegen in Sachen Hinweispflichten im Clinch mit dem VUSR
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Das Urteil des Amtsgerichts Nordhorn sorgt im stationären Vertrieb für grundsätzliche Debatten über Rolle und Verantwortung der Reisebüros. Das Gericht hat klargestellt, dass Reisemittler im Grundsatz nicht verpflichtet sind, die wirtschaftliche Situation von Reiseveranstaltern zu beurteilen. Die Bewertung von Liquidität und Stabilität gehört nach der Entscheidung nicht zu ihren Aufgaben.
Der Deutsche Reiseverband (DRV) sieht damit seine Rechtsauffassung bestätigt. Aus Sicht des Verbands liegt die Beurteilung der finanziellen Lage von Reiseunternehmen bei Aufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfern, nicht bei Reisebüros oder Verbänden. Eine objektive Einschätzung einzelner Anbieter sei Reisemittlern in der Realität nicht möglich.
DRV und asr pochen auf klare Rollenverteilung
Der DRV lehnt eine aktive Hinweispflicht auf wirtschaftliche Risiken ab. Wer eine solche Pflicht bejahe, müsse definieren, welche Meldung sie auslöse und in welchem Zeitraum Reisebüromitarbeiter Hinweise lesen, bewerten und umsetzen müssten. Reisebüros handelten mit hoher Sorgfalt und wählten ihre Partner verantwortungsbewusst aus, betont der Verband. Die Verantwortung für die Bewertung und Kommunikation von Insolvenzrisiken müsse aber bei den zuständigen Institutionen liegen.
Der ASR Bundesverband schließt sich dieser Linie an. Reisebüros hätten keinen Zugriff auf tagesaktuelle Unternehmenszahlen oder interne Risikoeinschätzungen der Veranstalter, heißt es in einer Mitteilung. Veröffentlichungen im Bundesanzeiger erschienen mit erheblicher Verzögerung und enthielten nur Mindestangaben. Aus solchen veralteten und unvollständigen Daten ein akutes Insolvenzrisiko abzuleiten, sei nicht möglich. "Reisebüros sind keine Wirtschaftsprüfer", sagt ASR-Präsidentin Anke Budde.
Warnung vor Prüfpflicht und Bürokratie
Budde verweist auf die Struktur des Marktes. In Deutschland existieren rund 2.500 Reiseveranstalter, hinzu kommen zahlreiche Anbieter aus dem europäischen Ausland. Niemand im Vertrieb könne diese Vielzahl wirtschaftlich überwachen. Der vom VUSR erhobene Anspruch, Reisebüros müssten wirtschaftliche Risiken erkennen, bilde eine Realität ab, „die mit der Arbeitswirklichkeit der Reisebüros nichts zu tun hat“.
Eine Prüfpflicht hätte aus Sicht des ASR auch marktwirtschaftliche Folgen. Junge oder kleinere Unternehmen, die sich erst etablieren oder nur über begrenztes Eigenkapital verfügen, würden strukturell benachteiligt. Wirtschaftliche Schwankungen gehörten zum Alltag vieler Firmen und seien kein Beweis für eine bevorstehende Insolvenz. Würden solche Schwankungen zum Kriterium, könnten sich neue Anbieter schwerer entwickeln.
Zudem warnt der Verband vor zusätzlicher Bürokratie. Neue Dokumentations- und Bewertungspflichten würden Reisebüros weiter belasten, obwohl ihnen die nötigen Informationen gar nicht vorlägen. Würden wirtschaftliche Risikoanalysen zur Pflicht, entstünde "ein neues Bürokratiemonster", das kein Reisebüro bewältigen könne, so Budde. Das Urteil schaffe daher Rechtssicherheit und schütze Reisebüros davor, für Entwicklungen verantwortlich gemacht zu werden, die außerhalb ihres Einflussbereichs liegen.
Streit um Beratungsversprechen des stationären Vertriebs
Anders bewertet der Reisebüroverband VUSR die Entscheidung. In einer Stellungnahme zur Beratungspflicht von Reisebüros im Zusammenhang mit der Insolvenz der FTI Touristik kündigte der Kläger Berufung gegen das Urteil an. Der Verband begrüßt diesen Schritt, weil zentrale Fragen für Verbraucher und stationären Vertrieb offen blieben.
Nach Darstellung des VUSR sah das Gericht eine Hinweispflicht nur bei klar erkennbaren Anzeichen für eine drohende Insolvenz. Zugleich hätten vollständig und korrekt im Bundesanzeiger hinterlegte Unternehmenszahlen die wirtschaftliche Schieflage von FTI deutlich sichtbar gemacht. Die mangelnde Transparenz habe eine verlässliche Risikobewertung für Kunden wie für Vermittler erschwert.
Auffällig sei, so der VUSR, dass einige Reisebüros das Urteil feiern, obwohl es die eigene Beratungsrolle schwäche. Der stationäre Vertrieb lebe vom "Quäntchen Mehrwissen", von Einordnung, Marktkenntnis und Vertrauen. Wer sich über Beratung vom Internet abgrenze, dürfe Beratung nicht zur freiwilligen Option erklären. "Wer Beratung als Stärke des stationären Vertriebs versteht, darf nicht gleichzeitig ein Urteil bejubeln, das diese Stärke schwächt", so das Fazit der VUSR-Chefin Marija Linnhoff.
Die angekündigte Berufung bietet nach Ansicht des VUSR die Chance, Rolle und Verantwortung von Reisevermittlern in Risikosituationen klarer zu definieren. Ziel sei es, sowohl Verbraucher als auch professionelle Reisebüros nachhaltig zu stärken.
Christian Schmicke