Debattenbeitrag: Warum die Hotellerie jetzt umdenken muss
Die vielen Reaktionen auf die Berichterstattung von Hotel vor9 über eine Führungskraft und ihr Ausstieg aus der Hotellerie zeigen: die beschriebenen Vorgänge sind kein Einzelfall, sondern ein offenbar drängendes Problem der Branche, über das bislang nicht offen gesprochen wurde. Das ändert sich jetzt. Ein erster Manager meldet sich zu Wort.

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Die strukturellen Probleme der Hotellerie in Bezug auf die schwindenden Möglichkeiten des Managements auf GM- und anderen Führungsebenen sind schon länger da. Jetzt wird auch offen darüber gesprochen
Michael Ziemann, selbst über ein Jahrzehnt als Führungskraft in einem deutschen Hospitality-Unternehmen mit mehreren Standorten tätig, kann die geschilderten Berichte aus beiden Perspektiven – operativer Verantwortung wie strategischer Beratung – nur bestätigen. Er schreibt: "Die geschilderten Entwicklungen treffen aus meiner Sicht nicht nur einen Nerv – sie benennen strukturelle Probleme, die seit Jahren unter der Oberfläche schwelen." Und er beklagt in einem Debattenbeitrag für Hotel vor9 die seit Jahren wachsende Kluft zwischen wirtschaftlicher Steuerung und emotionaler Realität im Hotelbetrieb. Michael Ziemann (Foto) schreibt:
"Ein Erfahrungsbericht wird zur Zäsur: Der Ausstieg einer langjährigen Führungskraft aus der Hotellerie hat einen Nerv getroffen. Nicht, weil sie gegangen ist. Sondern weil sie offen ausspricht, was viele längst fühlen – und schweigen. Der Folgeartikel zeigt: Ihre Geschichte ist kein Einzelfall. Es ist ein Echo. Aus Hotellobbys, Mitarbeiterkantinen und stillen Personalbüros. Die Branche verliert nicht nur Talente. Sie verliert Haltung, Menschlichkeit – und in letzter Konsequenz: Zukunft.
Was läuft falsch? Wenn das Gastgebersein zur Nebensache wird und Excel-Tabellen mehr zählen als Empathie, dann darf man sich über Kündigungen im Führungskreis nicht wundern. Burn-out, Sinnkrisen und Identitätsverlust sind die neue Realität hinter der operativen Fassade. Und das betrifft nicht nur Einzelpersonen – sondern die DNA eines ganzen Systems.
Ich formuliere es aus eigener Erfahrung: Ich habe mich für Menschen entschieden – und fand mich in einem System wieder, das Menschen systematisch überfordert. Der Folgeartikel belegt, wie weit verbreitet diese Ernüchterung ist. Die Stimmen sprechen von kurzsichtigen Personalentscheidungen, Investorenlogik statt Teamgeist, toxischen Erwartungshaltungen, ausbleibender Wertschätzung. Ein Bild entsteht: Die operative Ebene brennt – aber niemand schaut hin.
Es braucht kein Mitleid, sondern ein Umdenken
Was muss sich ändern? Es braucht kein Mitleid, sondern ein Umdenken – und das beginnt an den Stellen, die bislang meist unangetastet blieben. Zum einen müssen Investoren und Eigentümer in die Pflicht genommen werden. Wer auf Rendite setzt, darf dabei nicht die Grundlage seiner Wertschöpfung ignorieren: die Menschen im Betrieb. Das bedeutet, KPIs neu zu denken – Mitarbeiterbindung, emotionale Loyalität und Teamstabilität gehören mit an die Spitze der Kennzahlen. Und wer mitreden will, muss auch zuhören – Co-Entscheidungen statt reiner Ergebnisorientierung.
Auch Führung muss sich verändern. Viele Führungskräfte stammen aus dem operativen Bereich – und stehen plötzlich zwischen Umsatzdruck und Teamverantwortung. Ohne Schulung, ohne emotionale Werkzeuge. Was fehlt, ist ein Führungsverständnis, das nicht allein auf Kontrolle basiert, sondern auf Vertrauen. Hier braucht es Coaching, psychologische Sicherheit im Arbeitsalltag und eine Feedbackkultur, die nicht sanktioniert, sondern stärkt.
Zentral ist außerdem die Frage: Wie geht es den Menschen wirklich? Betriebliches Wohlbefinden darf kein Add-on sein, sondern gehört zur Grundausstattung. Das heißt: flexible Arbeitszeitmodelle, feste Ruhezeiten, externe Ansprechpartner für mentale Gesundheit – und vor allem: eine Haltung, die Belastung nicht als Schwäche betrachtet.
Das Gastgeber-Prinzip darf kein Marketing-Slogan sein
Und schließlich muss sich die Branche daran erinnern, was sie einmal ausgemacht hat. Das Gastgeber-Prinzip ist kein Marketing-Slogan. Es ist ein Berufsethos. Aber dieses Ethos kann nur leben, wenn es auch intern gelebt wird. Mitarbeiter müssen wieder spüren, dass ihr Einsatz Sinn macht. Dass Haltung zählt. Dass nicht nur die Gäste willkommen sind – sondern auch sie selbst.
Eine Branche steht am Wendepunkt. Wenn die Hotellerie nicht jetzt umdenkt, wird sie nicht nur weitere Fachkräfte verlieren, sondern auch an gesellschaftlicher Relevanz einbüßen. Denn was nützt ein schönes Hotel, wenn niemand mehr da ist, der es mit Leben füllt?
Die gute Nachricht: Die Lösung liegt nicht in neuen Tools, sondern in einer Rückbesinnung auf das Wesentliche. In echter Führung – dort, wo Haltung nicht nur gezeigt, sondern bewiesen wird. Auch dann, wenn es unbequem ist. Auch dann, wenn es nicht dem eigenen Vorteil dient.
Was wir jetzt brauchen, sind keine weiteren Aussteiger. Sondern Einsteiger mit Mut. Mit Vision. Mit einem klaren Nein zu alten Mustern – und einem echten Ja zur Zukunft der Gastfreundschaft."
Zur Person: Michael Ziemann ist Hospitality-Berater mit Schwerpunkt Serviced Apartments. Er war über zehn Jahre in Führungspositionen in diesem Segment tätig und ist heute Managing Partner der Apartmenthelden.
Uns interessiert Ihre Meinung: Nachdem wir über die aktuellen strukturellen Problemstellungen auf der Leitungsebene der Hotellerie berichtet haben, sind wir auf der Suche nach ganz konkreten Verbesserungen: Was kann die Branche, was kann die einzelne Führungskraft tun, um trotz der geschilderten Herausforderungen weiterhin erfolgreich (und zufrieden) Gastgeber aus Leidenschaft zu bleiben? Schreiben Sie uns Ihre Gedanken oder Anregungen. Bitte mit Angabe, in welcher Position Sie tätig sind. Selbstverständlich werden wir Ihre Zuschrift, sofern gewünscht, vertraulich behandeln. Mail an: pascal.brueckmann@gloobi.de